Jens M. Stober |
* 1986 in Karlsruhe (DE), lebt und arbeitet in Karlsruhe
Wenn es nach den Ideologen der Globalisierung gegangen wäre, hätte das Ende des sogenannten Kalten Krieges um 1989 auch ein Ende der historischen Erzählungen bedeutet; der Siegeszug der Demokratie und der freien Marktwirtschaft hätte alle politischen und ökonomischen Konflikte ausgeräumt und somit auch die Notwendigkeit, diese in Worte, Bilder und Geschichten zu fassen. Eine ununterbrochene Folge von Kriegen, Terror und Katastrophen hat diese These so weit nicht bestätigen können; zugleich zeitigt die Einführung der digitalen Medien und des Internets Folgen für die Geschichtsschreibung und das Erzählen überhaupt, deren Ausmaß noch schwer zu überblicken ist. So haben sich in den letzten Jahren Videospiele zu einem Massenmedium entwickelt, das sehr spezifische Erzähltechniken bietet. Die Möglichkeit einer subjektiven Teilnahme am Spielgeschehen, das sich dennoch an einem vorgegebenen ästhetischen und inhaltlichen Rahmen orientiert, erlaubt es, Fragen zu Subjektivität und Entscheidungsfreiheit zu einem unmittelbar erfahrbaren Teil der Erzählung zu machen. Vor diesem Hintergrund ist Jens M. Stobers „Serious Game“ 1378 (km) zu situieren. Als Spielende stehen wir vor der Wahl, die Rolle eines Flüchtlings oder eines Grenzsoldaten an der damaligen „innerdeutschen Grenze“ zu übernehmen; und als Letzterer vor der Wahl, dem Schießbefehl des Regimes zu folgen, ihn zu verweigern oder gar selbst die Flucht über die Grenze anzutreten – wer schießt, muss sich innerhalb des Spiels nach einem erzählerischen Zeitsprung ins Jahr 2000 vor Gericht verantworten. Dass von den populistischen Medien, die 1378 (km) als „Killerspiel“ zu diffamieren versuchten, der Todesschuss als Ziel des Spiels dargestellt wurde, zeigt letztendlich, dass sie die Möglichkeit der freien Wahl gar nicht in Betracht zogen – dies entspricht genau jener Logik, der der unkritische Gehorsam innerhalb jedes politischen Systems folgt. (JB) 1378 (km), 2010 |