Die Dokumentation, die in fünf Sektionen (sowie einen weiteren, dem PanoramaScreen gewidmeten Bereich) gegliedert ist, stellt den Versuch dar, mithilfe umfangreicher Daten den Zeitablauf und die geografische Ausbreitung der globalen Kunstpraxis anschaulich zu machen. Dabei wird eine Genealogie erkennbar, die sich nicht mehr in das alte Schema einer reinen Kunstgeschichte einordnen lässt, sondern andere Formen der Nacherzählung erforderlich macht, die auch die geopolitische Situation der Kunst in all ihren Facetten umfassen. Die Pluralität der Erzählweisen oder histories ist für den aktuellen Diskurs charakteristisch. Darin erweist sich die Darstellbarkeit der heutigen Kunst als eine solche einzelner Kunstwelten (Biennalen, Museen, Märkte), die ebenso in den Blick kommen wie die Kunst selbst.
Documents.
1989 und die globale Wende
In einer Zeitleiste sind unterschiedliche Eckdaten zum Jahr 1989 zusammengestellt, die die Schlüsselrolle dieses Jahres in der Geschichte der Globalisierung erkennen lassen. In der Kunst wird die globale Wende im gleichen Jahr erstmals durch viel diskutierte und ebenso kritisierte Ausstellungen manifest, die erst in den Folgejahren ihre Sprengkraft entfalteten. Im Zuge dieser Events wurden KuratorInnen zu Wegbereitern eines Zeitalters, in dem die Kunst nicht mehr durch westliche Deutungshoheit begrenzt ist. Die Ausstellung Magiciens de la terre im Centre Pompidou in Paris lässt sich heute, mehr als zwanzig Jahre später, historisch als Schlüsselereignis für die Folgezeit bewerten. Eine Übersicht über jene Begriffe, mit denen Globalisierung heute sprachlich artikuliert wird, führt ebenfalls in das Jahr 1989 zurück. Damals löste sich „Global Art“ aus dem Begriff „World Art“ ab, um eine zeitgenössische Kunstproduktion zu benennen, die vorher noch gar nicht im Kunstdiskurs vertreten war.
Art Spaces.
Eine Museumslandschaft im Wandel
Das ZKM hat siebzehn Museen, die auch auf der Website des Projekts GAM präsentiert werden, um Bildmaterial und Texte gebeten, um alternative Kunsträume vorzustellen, die mit dem alten Begriff „Museum“ neue Ideen verbinden oder als Orte für eine lokale Kunstproduktion konzipiert worden sind. Dabei gerät ein tief greifender Wandel im Verständnis von Kunstinstitutionen in den Blick, der im vergangenen Jahrhundert mit der Schöpfung des Begriffs „MOCA“ (Museum of Contemporary Art) eingeleitet wurde. Schon das Erscheinungsbild solcher Kunsträume, zu denen auch Museumsgründungen von KünstlerInnen oder Museen für eine bestimmte Community zählen, gibt Anlass dazu, die aktuelle Funktion des Kunstmuseums in anderen Kulturen neu zu entdecken. Der sogenannte Cultural District, wie er in Abu Dhabi gebaut und in Hongkong geplant wird, liefert den ökonomischen Anreiz, Museen an Orten zu gründen, an denen sie einem kosmopolitischen Publikum neben Entertainment und Shopping ein kulturelles Angebot machen.
Rasheed Araeen, The Reading Room, 1979–2011.
In The Reading Room wird den BesucherInnen der Ausstellung Gelegenheit geboten, sich u.a. mit dem in deutschen Bibliotheken selten vertretenen Kunstmagazin Third Text bekannt zu machen. Third Text wurde 1987 von dem Künstler Rasheed Araeen in London gegründet. Der Herausgeber hat mit dieser Zeitschrift, die sich anfänglich durch eine „Third World“-Perspektive auszeichnete (Untertitel: Third World Perspectives on Contemporary Art & Culture), den globalen Diskurs nachhaltig geprägt und ein Forum für AutorInnen geschaffen, die bis dahin von der westlichen Kunstszene ausgegrenzt worden waren. In den Themenbänden bietet das Magazin, das bereits mehr als hundert Ausgaben umfasst, ein reiches Spektrum heutiger Kunstwelten. Mit ihrer „kritischen Perspektive“, auf die im seit 1999 verwendeten Untertitel (Critical Perspectives on Contemporary Art & Culture) Bezug genommen wird, stellt die Zeitschrift auch Fragen nach den künftigen Aufgaben der Kunst zur Diskussion. Der Ausstellungsraum im ZKM wurde von Araeen so konzipiert, dass sich die intellektuelle Praxis, den Diskurs über Kunst in eigene Regie zu nehmen, auch als eine neue Form von künstlerischer Praxis erkennen lässt.
Mapping.
Die Kunstgeografie der Biennalen
Die Globalisierung hat eine neue Weltkarte der Kunst geschaffen, deren Grenzen durchaus noch im Fluss sind. Nachdem das Schema von Zentrum („Westkunst“) und Peripherie verabschiedet ist, entsteht das hektische „Mapping“ einer polyzentrischen Welt, das sich in übernationalen „Kunstregionen“ artikuliert. Dabei werden Biennalen, die sich explosionsartig auf dem Globus ausgebreitet haben, zu Relaisstationen einer Kartografie, die ohne Vorgeschichte in der Moderne ist. Die Zuweisung einer geopolitischen Repräsentation an die zeitgenössische Kunst äußert sich etwa in der Proklamation der Kunstregion „Asia-Pacific Art“, durch die sich Australien politisch neu orientierte, oder durch das kulturelle Reiseprogramm der „Contemparabia“ zu den Biennalen und Museen der aufstrebenden Golfregion. So erzeugt die Expansion des Biennalensystems ein Netzwerk von Institutionen und KuratorInnen, die in der regionalen Kunst eine kulturelle Identität suchen, um ihr globale Anerkennung zukommen zu lassen.
Branding.
Die Praxis neuer Kunstmärkte
Die Globalisierung der Kunst findet ihren stärksten Ausdruck in der Strategie großer Auktionshäuser, zeitgenössische Kunst in geografischen Einheiten (Chinese, Indian, Arab und Iranian Art) zu vermarkten und damit eine neue, bislang kunstferne Klientel zu gewinnen. Inzwischen hat der chinesische Kunstmarkt den Marktanteil der meisten europäischen Länder in einer gigantischen Steigerung überboten und mit Sensationspreisen auch den Vorsprung westlicher Kunst eingeholt. Die Interaktion der Finanzmärkte mit dem Kunstmarkt wird dabei ebenso evident wie die Wandlung der Kunst zu einem Spekulationsobjekt der Luxusbranche, das inzwischen auch als Thema einer neuen Sachbuchliteratur in Erscheinung tritt. Da nicht nur Kunstmessen, sondern auch Biennalen in das Netzwerk des Markts einbezogen werden, vergrößert sich die kulturelle Distanz zu einem wie auch immer exklusiv gedachten Kunstbegriff rapide. Zugleich spielt der Markt jedoch für die Entstehung neuer Kunstregionen und für die öffentliche Präsenz von KünstlerInnen aus kunstfernen Kulturen eine zentrale Rolle.
trans_actions: The Accelerated Art World 1989–2011, 2011
Stewart Smith, Robert Gerard Pietrusko, und Bernd Lintermann
Das ZKM | Institut für Bildmedien hat gemeinsam mit dem GAM-Projektteam erstmals eine Arbeit in Auftrag gegeben, mit der sich sowohl die zeitliche und räumliche Entwicklung des Biennalensystems als auch jene der globalen Kunstmärkte durch filmische Projektion auf dem PanoramaScreen dynamisch zur Darstellung bringen lässt. Ziel war dabei, eine Fülle von statistischen Daten (Orte, Preise, die Präsenz von KünstlerInnen sowie die Reisekarriere von KuratorInnen) so zu verarbeiten, dass sie visualisiert werden können. Clare McAndrew, als internationale Expertin für den Kunstmarkt, hat an diesem Projekt ebenso mitgewirkt wie eine im Rahmen von GAM arbeitende Forschergruppe, die das umfangreiche am ZKM vorhandene Arbeitsmaterial (etwa zweihundert Biennale-Kataloge) ausgewertet und darüber hinaus mit verschiedenen Biennale-Organisationen Kontakt aufgenommen hat. Durch die Visualisierung von Daten vermittelt der PanoramaScreen einen unmittelbaren Eindruck vom Prozess der Globalisierung, der sich von Jahr zu Jahr verfolgen lässt. Zugleich präsentiert er ein Bild des dichten Netzwerks, das in den neu entstandenen Kunstwelten über den Globus ausgespannt worden ist.